2024-11-22T08:24:04.050Z

Interview
Thomas Ziemer, der sich mit FuPa-Reporter Dieter Rebel zum Gespräch traf, ist bereit, Verantwortung zu übernehmen beim Club.
Thomas Ziemer, der sich mit FuPa-Reporter Dieter Rebel zum Gespräch traf, ist bereit, Verantwortung zu übernehmen beim Club. – Foto: Dieter Rebel

Club-Legende Ziemer ist bereit: »Es muss und wird etwas passieren«

Der Herzschlag-Klassenerhalt des 1. FC Nürnberg und seine Nachwehen: Club-Legende Thomas Ziemer im Interview.

Der Super-Gau, der Abstieg in die 3. Liga, konnte gerade noch abgewendet werden - in sprichwörtlich allerletzter Sekunde. Obwohl der sportliche Absturz somit verhindert werden konnte, brennt der Baum beim 1. FC Nürnberg. Nicht nur in der fränkischen Metropole ist die Frage nach dem "Warum" Hauptgesprächsthema Nummer 1 am Montag nach dem Relegations-Spektakel. Auch Club-Legende Thomas Ziemer, Teamchef der FCN-Traditionsmannschaft, die einen großen Einfluss hat beim ehemaligen Rekordmeister, ist einerseits "brutal enttäuscht", andererseits aber genauso wie viele Ehemalige dazu bereit, Verantwortung zu übernehmen, wie der 50-Jährige im Gespräch mit FuPa-Reporter Dieter Rebel versichert.

Thomas, wir machen eine kleine Zeitreise. Zunächst geht es zurück zum Samstagabend, 11. Juli, 18.15 bis 20.15 Uhr. Wie hast Du das Relegations-Rückspiel zwischen Ingolstadt und "Deinem" Club erlebt?
Mit anderen Ehemaligen wie Martin Driller waren wir bei Andi Wolf Zuhause, wo wir gemeinsam das Spiel geschaut haben. Wir haben vorher schön gegrillt auf der Terrasse - auch unsere Frauen waren dabei. Eigentlich hätten wir einen entspannten Abend erwartet. Mitte der 2. Halbzeit fing dann allerdings das große Zittern an. Wir waren schon im Sarg, wie es Michael Wiesinger auch gesagt hat. Glücklicherweise sind wir aber noch einmal rausgesprungen. Irgendwie passt dieser Abschluss zur Saison ingesamt. Sehr emotional.

Nächste Station ist der Juli 2019. Welche Fehler wurden nach dem abermaligen Abstieg aus der Bundesliga gemacht, sodass der ehemalige Rekordmeister überhaupt erst derart um den Klassenerhalt in der 2. Liga bangen musste?
Nach einem langen Gespräch mit Vorstand Robert Palikuca war ich vor der Saison eigentlich guten Mutes. Auch die Neuverpflichtungen waren vom Namen her vielversprechend. Auch wenn den Trainer intern niemand kannte, war ich eigentlich davon überzeugt, dass wir vorne mitspielen werden. Es wurde bei der Kaderzusammenstellung jedoch mehr auf den Namen geschaut als auf den Charakter. Das Team war nicht homogen. Wir hatten nur sehr wenige Führungsspieler. Und das war ausschlaggebend dafür, dass die Saison so schlecht gelaufen ist.


Thomas Ziemer und seine Suche nach Gründen

Die letzte Station auf der Zeitreise ist ein Zeitpunkt, den Du bestimmen musst. Wann und warum wurde der 1. FC Nürnberg zu einem gewöhnlichen Verein, der zwischen den Ligen pendelt?
Ein gewöhnlicher Verein wird der 1. FC Nürnberg nie sein - das verdeutlicht alleine die aktuelle turbulente Zeit. Geschichten, wie die am Samstag, werden in ganz Deutschland diskutiert, weil der Club eben kein gewöhnlicher Verein ist. Wo genau Fehler gemacht worden sind, lässt sich nicht genau feststellen. Evtl. bei Satzungsänderungen hin zum neunköpfigen Aufsichtsrat. Ich bin der Meinung, es würden auch fünf genügen. Es gibt viele Dinge, die nicht gut waren - die ein oder andere Besetzung von Positionen war unglücklich.

Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklung. Sieben Mitglieder der Traditionsmannschaft sind inzwischen im Nachwuchsleistungszentrum engagiert - u.a. Marek Mintal, Dieter Frey, Dieter Nüssing, Michael Wiesinger. Vor allem Letzgenannter ist hier hervorzuheben. "Wiesi" hat rund um die Relegationsspiele eindrucksvoll bewiesen, welche Bedeutung der 1. FCN hat, für welche Werte er steht. Und genau das ist es, worauf es ankommt: Das FCN-Gen im Herzen zu haben. Braucht man irgendeine Besetzung eines Postens, kann man beliebig aus der Traditionsmannschaft auswählen - man macht keinen Fehler.

Wie fällt Dein aktuelles Urteil über den 1. FC Nürnberg aus? Wie nimmst Du die aktuelle Entwicklung wahr – mit Wut und Zorn, mit Resignation, mit Trauer oder noch viel schlimmer: mit Gleichgültigkeit?
Gleichgültigkeit definitiv nicht - das verhindert vorher angesprochene FCN-DNA in meinem Blut. Meine aktuelle Gefühlslage würde ich als brutale Enttäuschung bezeichnen. Auf der anderen Seite finde ich es sehr, sehr gut, wie es Marek und Wiese geschafft haben, das Ruder in den letzten beiden Spielen rumzureißen. Von der Mannschaft bin ich sehr enttäuscht. Unabhängig von der aktuellen Lage braucht man Häuptlinge in einer Mannschaft - und die haben wir nicht. Wir waren am Abgrund. 3. Liga wäre der worst case gewesen. Es kann nur noch besser werden.

"Der Club is a Depp" - bekommt dieser Ausspruch, der lange Jahre mit einem Schmunzeln als Slogan der Nürnberger galt, vor dem aktuellen Hintergrund eine neuere, ernstere Bedeutung?
(lacht) Dieser Spruch wurde von Schriftsteller Klaus Schamberger kreiiert. Und insgeheim hat er Recht. Bayern hat "Mia san Mia" und wir eben diesen Ausdruck. Hätten wir es nicht gepackt, in der 2. Liga zu bleiben, hätte man diesen Spruch zwei- und dreimal unterstreichen müssen.

Ein Bild mit Symbolcharakter: FCN-Torwart Mathenia ist genauso wie der gesamte Verein konsterniert.
Ein Bild mit Symbolcharakter: FCN-Torwart Mathenia ist genauso wie der gesamte Verein konsterniert. – Foto: Thomas Schmitz

Wäre es letztlich nicht sogar besser gewesen, in die 3. Liga abzusteigen und einen kompletten Neustart hinzulegen als nun wieder in der 2. Liga im alten Trott weiter zu machen?
Nein, definitiv nicht. Ich kann mich noch erinnern. Als wir damals in die drittklassige Regionalliga abgestiegen sind, war jedem klar, dass wir sofort wieder aufsteigen werden. Das Niveau der 3. Liga ist aber deutlich höher als das der Regionalliga damals. Ein sofortiger Wiederaufstieg wäre also nicht logisch gewesen. Nicht umsonst tun sich andere Traditionsvereine wie 1860 oder Kaiserslautern so schwer, in die 2. Liga zurück zu kehren. Nichsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass auch in der 2. Liga ein Neuanfang möglich ist. In welcher Form, dass müssen unsere Herren vom Aufsichtsrat entscheiden. Ich kann nur soviel sagen, wir von der Traditionsmannschaft bieten unsere Hilfe gerne an. Wir stehen Gewehr bei Fuß, wenn wir benötigt werden.

Der Ruf nach früheren Größen, die - ähnlich wie beim FC Bayern München - eine Führungsrolle übernehmen sollen - wird immer lauter. Welche Namen kommen hier für Dich infrage? Vielleicht sogar Du selber?
Klar bin ich bereit. Ich bin seit 30 Jahren im Profigeschäft tätig und bringe deshalb einiges an Erfahrung mit. Um vorbereitet zu sein, habe ich meine Berateragentur etwas runtergefahren. So habe ich keine Spieler mehr in der Beratung, die beim 1. FC Nürnberg spielen. Wenn Hilfe benötigt wird, kann ich sofort angreifen.


Keine temporäre Erscheinung, sondern ein längerer Prozess

Alleine oder im Team?
Das ist eigentlich egal. Wie schon vorher gesagt, gibt es einige potenzielle Mitstreiter. Andi Wolf, Martin Driller, Jörg Dittwar... Es gibt genug, die den nötigen Fußballsachverstand genauso haben wie die nötige Erfahrung. All diese Leute sind aber nur in Positionen vorstellbar, in denen man täglich mit der Mannschaft zu tun hat - und nicht im Aufsichtsrat.

Woran scheitert eine Inthronisierung der angesprochenen Namen?
Die Stimmen werden immer lauter, die Fan wollen diesen Schritt. Natürlich, wenn derartige Ereignisse wie ein gerade noch abgewendeter Abstieg in die 3. Liga da sind, ist Missstimmung die logische Folge. Beim Club ist das aber keine temporäre Erscheinung, sondern ein längerer Prozess. Und: Es gibt genügend positive Beispiele, wenn Ehemalige in den Verein miteingebunden werden. Als Teamchef der Traditionsmannschaft weiß ich, dass Nürnberg überhaupt das Glück hat, Ehemalige zu haben, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

Wie geht es mit ihm weiter? Marek Mintal hat gemeinsam mit Michael Wiesinger die Relegation erfolgreich gemeistert.
Wie geht es mit ihm weiter? Marek Mintal hat gemeinsam mit Michael Wiesinger die Relegation erfolgreich gemeistert. – Foto: Boris Schumacher

Für viele Fans liegt die Hauptverantwortung für das diesjährige Desaster in der Führung. Stimmst Du diesen Meinungen zu?
Der Aufsichtsrat ist das Kontrollgremium des Vereins und somit hauptverantwortlich für die Gesamtlage. Wenn man zwei Trainer verschleißt, spricht das für sich. Ich würde deshalb dem Aufsichtsrat raten, sportliche Fachkompetenz mit ins Boot zu holen.

Auch im Team fehlt es - bis auf Ausnahmen - an Identifikationsfiguren. Warum? Und wie kann dieses Problem wieder aus der Welt geschafft werden?
Wenn man Leistung bringt, wird man automatisch zur Identifikationsfigur. Ganz einfach. Durch den Aufstieg in die 1. Liga sind mit beispielsweise Hanno Behrens solche Leitwölfe entstanden. Enrico Valentini kann man hier noch dazuzählen. Entscheidend ist es aber, Häuptlinge zu haben. Und die haben mir gefehlt in dieser Saison.


Ziemer bricht eine Lanze für Mintal und Wiesinger

Ist das Trainerteam Wiesinger/Mintal, beides verdiente Clubberer, in diesem Zusammenhang der erste Schritt in die richtige Richtung?
Ihre Installation war das naheliegenste - und auch unsere Empfehlung. Beide haben Herzblut. Und genau das ist das, auf was der 1. FC Nürnberg künftig zurückgreifen soll.

Welche Rolle kann hier die eigene U21 in der Regionalliga Bayern spielen. Siehst Du dort Potenzial?
Absolut. Meines Erachtens ist die Durchlässigkeit in den Profikader noch deutlich zu gering. Unser Hauptaugenmerk soll auf diese U21 gelegt werden. Investiert man soviel in das NLZ, muss es einfach so sein, dass jährlich 2,3 Spieler in den Profikader übernommen werden. Lukas Schleimer war bestimmt nicht der Letzte...

Abschließend ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich der 1. FC Nürnberg in den kommenden Jahren entwickeln?
Das hängt damit zusammen, wie es personell weitergeht. Wir befinden uns in einer heißen Phase. Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich weiß nur, dass etwas passieren wird. Schauen wir, wie der Aufsichtsrat entscheiden wird. Schlechter kann es nicht mehr werden...

Hoffen wir das Beste. Danke für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.

Aufrufe: 013.7.2020, 15:33 Uhr
Dieter RebelAutor