München - Seit Hasan Kivran als starker Mann eingestiegen ist, hat sich das Tempo bei Türkgücü München kontinuierlich erhöht. In den vergangenen vier Spielzeiten hat der Verein 82 neue Spieler verpflichtet und 71 abgegeben. In jeder Transferperiode - ob Sommer oder Winter - wurde der Kader verändert. Viele Ex-Kicker des Klubs, der seit 2018 von der Landesliga in die 3. Liga durchmarschiert ist, konnten sich bei der Achterbahnfahrt nicht in ihrem Sitz halten und mussten wieder gehen.
Es bleibt, dass Kivran den Klub binnen drei Jahren von der Landesliga in den Profi-Fußball geführt hat. Und das Ende der Fahnenstange ist offenbar noch nicht erreicht, denn auch im Winter hatten der Sportliche Leiter Roman Plesche und Geschäftsführer Max Kothny wieder alle Hände voll zu tun. Insgesamt zwölf Personalien, sieben Ab- und und fünf Zugänge, mussten abgewickelt werden. Obwohl sich offiziell vom Verein niemand dazu bekennt, strebt der Verein mit dem Sprung in die 2. Bundesliga den nächsten Coup an.
Keine Überraschung eigentlich, wäre vor Weihnachten nicht die Bombe geplatzt, dass sich Hasan Kivran - angeblich - von seinen Anteilen trennen und Türkgücü verlassen will. Bei Kothny und Co. läuteten die Alarmglocken, denn ohne die Gelder des Präsidenten hätte der Klub vor einer mehr als ungewissen Zukunft gestanden. Gerüchte um Zahlungsschwierigkeiten machten die Runde und der Verein musste beim DFB die Liquidität bis Saisonende nachweisen. Was folgte war viel Hektik, unter anderem eine Geisterticket-Aktion und am Ende die Rolle rückwärts von Kivran,
Geschäftsführer Kothny versicherte zwar, dass es nicht wie vermutet eine öffentlichkeitswirksame Aktion war. Schon im vergangenen Jahr sorgte der angedachte Umzug ins Ruhrgebiet und der Last-Minute-Einspruch inklusive Gerichtsverfahren um die Teilnahme im DFB-Pokal gegen den FC Schalke 04 für Wirbel. Trotzdem bleiben einige Fragezeichen.
Da wäre zuerst Hasan Kivran selbst. Er spricht selten öffentlich. Wenn überhaupt, nur mit ausgewählten Medien. Im Werben um Akzeptanz für den ersten von Migranten gegründeten Fußball-Klub im deutschen Profi-Fußball fehlt nicht nur Nostalgikern und Fans der „50+1“-Regel die nötige Transparenz.
Darüber hinaus hat der Verein noch eine Menge Nachholbedarf. Spätestens mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga bräuchte Türkgücü ein eigenes Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). In der Pressemitteilung nach Kivrans Rücktritt vom Rücktritt verbreite der Klub Zuversicht und sprach nach Gesprächen mit der Lokalpolitik von „Aussichten der Stadt nach einer geeigneten Trainingsanlage.“ Die Reaktion der Stadt München: Verwunderung.
Ob es ein passendes Areal für den Klub gibt, ist ungewiss. Doch die Zeit rennt dem Serienaufsteiger davon. Bis zum 1. März muss Türkgücü bei der DFL Pläne vorlegen, an welcher Stelle das NLZ zumindest entstehen soll. Bestenfalls dann mit eigenem Trainingsplatz für die Profis. Aktuell arbeiten Alexander Schmidt und seine Mannschaft auf der Bezirkssportanlage in der Heinrich-Wieland-Straße unter schweren Bedingungen - vor allem im teilweise strengen oberbayerischen Winter.
Es ist gut möglich, dass wegen den widrigen Voraussetzungen im Moment auch die Leistung stagniert. Im Rennen um die ersten drei Plätze der Tabelle gab es zuletzt drei 0:0-Unentschieden und zwei Niederlagen. Die vor Türkgücü München platzierten Mannschaften haben ein, teilweise sogar zwei Spiele weniger absolviert. Der Rückstand beträgt nach dem 23. Spieltag drei Punkte.
Um zumindest sportlich von der 2. Liga träumen zu können, muss am kommenden Montagabend gegen den 1. FC Magdeburg ein Sieg her. Ob die Pläne eines eigenen NLZs und die Lizensierung von der DFL im Frühjahr abgenickt werden, entscheidet sich dann nicht auf dem Rasen.
(Jörg Bullinger)