Christoph Zimmermann beißt genüsslich ein Stück seiner Nussecke ab. „Die“, sagt er, „waren meine Belohnung nach guten Spielen.“ Zum Glück hat seine Mutter Bärbel auf dem Heimweg vom Einkaufen noch ein paar mitgebracht. Denn in diesem Moment sind sie die Belohnung für eine ganze Saison. Und zwar für eine, die sich der 26-Jährige in seinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt hätte. Mit dem englischen Zweitligisten Norwich City ist der gebürtige Düsseldorfer in die Premier League aufgestiegen und hat mit seinem Team so für eine Sensation gesorgt.
Der baumlange Innenverteidiger sitzt im Wohnzimmer seiner Eltern – er hat es sich im Sessel bequem gemacht – und redet über den größten Erfolg seiner Karriere. Die Stimme ruhig, die Worte präzise gewählt. „Die letzten Monate der Saison sind geflogen“, berichtet er.
Angefangen hat alles nur ein paar Meter entfernt: im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel, beim SC West. Der Sportplatz ist vom Elternhaus fußläufig in weniger als zehn Minuten zu erreichen. Von den Bambini bis zur D-Jugend hat er alle Teams durchlaufen. Ein Wechsel zur Fortuna lag damals sicherlich nahe, doch Zimmermann wollte die Oberkasseler gar nicht verlassen. „Ich habe mir gedacht, wir haben Fortuna in der Liga geschlagen, wir sind doch besser als die“, erzählt er und muss ein wenig schmunzeln. „Außerdem wollte ich mit zehn Jahren noch nicht vier, fünf Mal die Woche trainieren, sondern meine Freunde treffen.“
Das ändert sich später. Als der Sprung in die C-Jugend ansteht, entscheidet sich Zimmermann für eine sportliche Veränderung. Er geht zu Borussia Mönchengladbach. „Der U14-Trainer von Gladbach kam damals aus Düsseldorf und hatte sich hier nach Spielern umgeguckt. Dann war ich zum Probetraining da“, sagt er. Die Verantwortlichen der „Fohlen“ überzeugt er schnell von sich und bleibt acht Jahre lang bei der Borussia. Fußballerisch ist er in dieser Zeit eng mit Mönchengladbach verbunden. „Aber mein Lebensmittelpunkt war weiterhin in Düsseldorf“, betont er.
Zu Hause, bei seiner Familie. Die Schule und der Fußball sind bis zum Abitur nicht einfach unter einen Hut zu bringen – doch Zimmermann gelingt der Spagat. Seine Eltern unterstützen ihn, wo sie können. Die unter sportlichen Gesichtspunkten wichtigste Person zu dieser Zeit ist Bruder Markus, der bis Juni im Düsseldorfer Norden für den Bezirksliga-Klub TV Kalkum-Wittlaer gespielt hat. „Er ist zwei Jahre älter als ich, deshalb wollte ich mich schon früh immer mit den älteren messen“, sagt der inzwischen 26-Jährige. „Auch nach einem Spiel samstags waren wir oft drei, vier Stunden auf dem West-Platz und haben weitergespielt. Wenn ich nicht mehr wollte, musste ich. Markus war sehr prägend.“
Später übernimmt Daniel Farke, Zimmermanns aktueller Trainer in Norwich, diese Schlüsselrolle. Bereits nach seinem Wechsel aus Gladbachs Regionalliga-Mannschaft in die U23 von Borussia Dortmund arbeiten die beiden eine Saison lang zusammen. Als Farke dann vor zwei Jahren nach England geht und Zimmermanns Vertrag ausläuft, steht die Karriere Spitz auf Knopf. „Ich habe in Dänemark mit einem Verein gesprochen, der aber leider abgestiegen ist“, berichtet Zimmermann. „Dann habe ich eine WhatsApp-Nachricht vom Trainer bekommen, dass sich in Norwich etwas eröffnen könnte.“ Fünf Tage später fliegt der Innenverteidiger auf die Insel, besteht den Medizincheck und unterschreibt seinen Vertrag. „Ohne Daniel Farke wäre ich vielleicht in Dänemark gelandet oder würde in der Uni sitzen.“
Der Wechsel hat ihn geprägt. Und sein Leben verändert. „Um 180 Grad“, wie der 26-Jährige betont. „Ich war weg von allem, nur auf mich alleine gestellt. Man muss gucken, wo man wohnt, was man für ein Auto haben will, welchen Stromanbieter man nimmt – und das nicht in seiner Muttersprache.“ Zimmermann wird dafür aber belohnt. Mit der Zweitliga-Meisterschaft, mit dem Aufstieg. In Norwich sind er und seine Teamkameraden zu Helden geworden.
Auf der Straße nimmt man den Innenverteidiger wahr. In England jedenfalls, in Deutschland ist das anders. „Hier kann ich mich frei bewegen“, sagt er. Doch lästig sind die Fans in Norwich keinesfalls. Im Gegenteil: höflich, respektvoll. „Wir haben mal zu Abend gegessen. Da hatte jemand den Anstand, zu warten, bis wir aufgegessen haben, kam kurz rüber, hat mir die Hand geschüttelt und hat gesagt: ‚Das war eine super Saison, Glückwunsch zum Aufstieg’ – und ist dann wieder gegangen“, erzählt Zimmermann, der aus der Bundesliga Ralf Fährmann (Schalke) und Josip Drmic (Mönchengladbach) als neue Teamkollegen begrüßen kann.
Solche Begegnungen wünscht sich der 26-Jährige auch in der kommenden Saison. „Wir haben eine gehörige Portion Respekt, aber wir sind nicht aufgestiegen, um uns die Stadien anzugucken und den Stars die Hände zu schütteln“, sagt er. Mit den Nussecken, die seine Eltern übrigens immer bei ihren Besuchen in Norwich mitbringen oder per Post über den Ärmelkanal schicken, wird sich Zimmermann vermutlich weiterhin für gute Spiele belohnen.