Der viel zu frühe Tod von Kulttrainer Lorant sorgt für Bestürzung – dabei wollte die Legende des TSV 1860 München mindestens 100 Jahre alt werden.
Zuletzt hat er nur noch seinen spanischen Mischling angebellt. Jackson, sein eigenwilliges Hündchen, bester Freund von Werner Lorant in Waging am See, seinem Altersruhesitz. Ende 2023, beim letzten Geburtstagsbesuch unserer Zeitung, sagte der Kulttrainer: „Mir fehlt nichts. Solange ich täglich mit dem Hund gehen kann, ist alles in Ordnung.“ Und überhaupt: „75 – ist doch kein Alter“, brummte er und lächelte zufrieden.
Eineinhalb Jahre später ist Lorant tot. Gestorben am Ostersonntag in einem Krankenhaus in Wasserburg am Inn. Lorant hatte sanft gewirkt, als er an seinem 75. Ehrentag eine kleine Feierrunde empfing. Altersmilde hätte man gedacht. Erika Feierabend, eine seiner Schwestern, verriet schon damals die bittere Wahrheit: Demenz, allerdings noch in moderater Form. Für den Mittagsfrühschoppen im Eichenhof hat die Energie gereicht, auch noch für ein paar typische Lorant-Sprüche, wenn es um sein früheres Leben als Erfolgstrainer ging. Dass es dann so schnell mit ihm zu Ende ging – das schmerzt auch die, die ihn nur aus der Ferne erlebten.
„Werner Lorant war für mich – und für viele in unserer Löwen-Familie – weit mehr als ein erfolgreicher Trainer“, schrieb Christian Werner, der aktuelle Sportgeschäftsführer der Löwen, in seinem Instagram-Profil: „Er war eine prägende Persönlichkeit, eine echte Legende.“ Als Kind war Christian Werner (43) leidenschaftlicher Leser des „kicker“.
Als Lorant mit 1860 in Meppen den Durchmarsch feierte, war er zwölf Jahre alt. Lorants Starkstromfrisur, seine schroffe Art – all das sorgte deutschlandweit für Aufsehen. Darum schreibt der 1860-Boss ohne falschen Pathos: „Ruhe in Frieden, Werner. Du wirst immer ein Teil der Löwen bleiben.”
In Erinnerung bleibt einer der legendärsten Wadlbeißer der Bundesliga: 325 Erstligaspiele, UEFA-Cup-Sieg mit Frankfurt. Später war es Lorant, der die Löwen aus den Niederungen der Bayernliga befreite und bis ins Vorzimmer der Champions League führte. Vor allem aber war er ein Trainer, der mit Leidenschaft aneckte. Bei Schiedsrichtern, bei Journalisten. Manchmal sogar bei Karl-Heinz Wildmoser, der Lorant aus der Provinz nach München gelotst hatte, um 1860 zusammen groß zu machen.
„Mein Präsident“ nannte Lorant den Patron liebevoll. Gemeinsam sagten sie sogar dem großen FC Bayern den Kampf an – zwischendurch mit Erfolg. In der Saison 1999/2000 schaffte Lorant mit 1860 zwei Derbysiege am Stück – einmalig in der Geschichte der Löwen. Genauso wie Lorants Triumphfahrt am Tag danach – einmal mit dem Auto durch die Säbener Straße: „Gaaanz langsam und laut hupend“.
„Wer Angst hat, verliert“, stand im Titel eines Buchs, das in den 90ern über ihn erschien. Kein hohler Spruch, wie sich im April 2020 bestätigte. Erster Corona-Lockdown, die Welt lebte in Angst vor einem unbekannten Virus. Trotzdem, 1860 wurden 160, musste der prägendste Löwenkopf der Neuzeit besucht werden.
Fröhlich streckte der Kulttrainer dem Besuch die Hand zur Begrüßung entgegen? Abstand? Maske? Ach wo, knurrte Lorant: „Wir sind doch nicht aus Zucker!“ Eine Gassi-Runde später saß man auf einer Wirtsterrasse am See, eine Bedienung brachte wie selbstverständlich Weißbier und Aschenbecher.
Lorant, der Furchtlose. Erika Feierabend, in seinen letzten Lebenstagen nicht nur Schwester, sondern auch Pflegerin, erzählte aber auch von einem Lorant, der der Öffentlichkeit verborgen blieb. Lorant der Familienmensch, der einfühlsame Kümmerer. Um seine Söhne Timo und Tobias zu schützen, verkniff er sich sogar das Rauchen in Oberdorfen, wo er lange ein bürgerliches Leben geführt hatte.
Eigenheim, großer Garten, Taubenschlag im Garten, Dackel an der Leine (damals Samson) – und Arbeitsteilung mit seiner damaligen Ehefrau Doris. „Manchmal wische ich sogar feucht durch“, sagte er mal. Die Verwandlung in einen Wüterich, die er durchlebte, wenn irgendwo ein Ball rollte, war am Ende vermutlich auch eine Rolle. „Jetzt im Alter“, versicherte Schwester Irmi, sei er sogar „noch sanfter“ geworden.
Selbstverständlich für Lorant war es auch, den Geburtstag seiner geliebten Mama Gertrud zu würdigen. Wenn es der Spielplan zuließ, kurvte er mit dem Auto in den Westen. Da kamen einige Fahrten zusammen, denn Gertrud, die noch bis kurz vor ihrem 100. Geburtstag mit dem Klapprad zum Einkaufen fuhr –, sie verstarb erst 2022, mit 102 Jahren. Für Lorant war stets klar, dass er Gertruds Gene geerbt habe.
Dass er zu seinem 70. Geburtstag 2018 auf eine große Feier verzichtete, hatte er so erklärt: „Was soll ich erst machen, wenn ich 80, 90 und 100 werde? Mir tut nix weh, ich nehm’ keine Tabletten. Ich bin jetzt Rentner und genieße das ruhige Leben hier.“ Am Sonntag, meldet die Familie, ist er friedlich eingeschlafen, leider für immer. Das größte und lauteste aller Löwenherzen – es hat für immer aufgehört zu schlagen.