Natürlich kam der Doppelpass zur Sprache. Der Doppelpass, der sonst nie klappte, aber eben im DFB-Pokalfinale zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln 1973. Der Doppelpass, der das Abschiedstor Günter Netzers einleitete, der sich selbst eingewechselt hatte. Der Doppelpass also, der deutsche Fußballgeschichte auf den Weg brachte. Netzer spielte auf Rainer Bonhof, Bonhof in den Lauf von Netzer, dem rutschte der Ball über den Schlappen, gerade deswegen flog er ins Tor.
Netzer und Bonhof nutzten die Erinnerung an die Szene bei der Eröffnung der Ausstellung „Netzer. Die Siebzigerjahre“ im Deutschen Fußballmuseum für einen verbalen Doppelpass über einen Höhepunkt des Klubs, für den beide spielten: Borussia Mönchengladbach.
Unweit des Fußballmuseums wehen die schwarz-gelben Fahnen des Ballspielvereins Borussia, an diesem Abend indes, stand dessen Heimat Dortmund, das Oberbürgermeister Stephan Westphal als „Fußballhauptstadt“ definierte, ganz im Zeichen der niederrheinischen Borussia.
„Bei Borussia hatte ich die schönste Zeit meines Lebens“, stellte Netzer klar, er hat wohl auch nie besser gespielt als im Zeichen der Raute. Und in der bilderreichen Installation zu seinen Ehren wird deutlich, dass es womöglich gerade das beschauliche Mönchengladbach war, dass die Netzer-Werdung des Jungen, den die Klassenkameraden einst wegen einer missratenen Dauerwelle neckten, möglich machte.
David Beckham, wie Netzer eine Ikone des Spiels, die über das Rasenrechteck hinausragte, habe im hippen London und coolen Manchester einen ganz anderen Kontext gehabt als er, hört man Netzer sagen, in Gladbach „hielten mich die Leute für verrückt“. Gerade das machte ihn besonders.
Gladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs ist Jahrgang 1989, er hat Netzer nie spielen oder im Ferrari die Hindenburgstraße rauf und runter cruisen sehen. Doch sei Netzer noch immer in der Stadt präsent, er präge sie, versicherte Heinrichs bei der Preview der Ausstellung.
Netzer sei „ein Botschafter“ seiner Heimatstadt, auch wenn die im Jahr seiner Geburt noch „München-Gladbach“ hieß. Möglich, dass der eine oder andere Fußball-Freund mal zum Nostalgie-Tripp an den linken Niederrhein kommt.
Die Erinnerung an das „Lovers Lane“, Netzers legendären Klub, das Denkmal mit Netzer in Eicken, sein Konterfei auf der Hauswand am Alten Markt – Netzer ist auf gewisse Art immer in Gladbach geblieben, auch wenn er es 1973 verließ und nach Madrid ging. Er, der Bursche von der Gladbacher Gasthausstraße, gehörte dort zu den Auserkorenen, die Santiago Bernabeu, den legendären Chef des königlichen Klubs Real, besuchen durften. Bei seinen Einsätzen als Nikolaus bei der Familie des Teamkollegen Paul Breitner wurde er in jenen Jahren von der Tochter des Hauses enttarnt wegen seiner niederrheinischen Sprachmelodie.
Dass die Netzer-Schau gerade im Jahr des 125. Geburtstags Borussias kommt, ist auch für den Klub eine Auszeichnung. „Das ist für uns eine große Ehre“, sagte entsprechend Bonhof, nun Präsident der Borussen.
Netzer wird durch die gigantische Installation in den Olymp des deutschen Fußballs erhoben. Und weil er für immer und ewig der größte Borusse ist, gilt das für den Klub gleich mit. Wer jenseits der Sonderausstellung durch das Fußballmuseum streift, findet immer wieder Hinweise darauf, wie Borussia Mönchengladbach die Geschichte des deutschen Fußballs mitgeprägt hat.
Dieser war zu Netzers Zeit ein Hingucker – und machte den Namen Mönchengladbach über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Wie in Mailand. Das große Inter wusste zum Beispiel nicht, wo Mönchengladbach lag, lernte es beim annullierten 1:7 aber richtig kennen im Büchsenwurfspiel. „Wir Gladbacher waren etwas Besonderes. Wir haben einen Fußball gespielt, den die Welt so nie gesehen hatte“, sagte Netzer nun.
Er sorgte dafür, dass „zu unseren Spielen viele, viele Frauen kamen, überhaupt waren die Leute im Stadion, weil sie Günter spielen sehen wollten“, berichtete Bonhof. Unter den Fotos des Japaners Masahide Tomikoshi, die parallel zur Netzer-Installation zu sehen sind, sind viele, auf denen Netzer am alten Bökelberg in Fan-Trauben zu sehen ist. Er war in Gladbach eine ständige Attraktion in der Stadt.
Netzer kannte seinen Status und nutzte ihn. „Ich habe meine Autos immer vor dem Lovers Lane geparkt. Dann haben die Leute gedacht: Wenn das Auto da steht, wird der Netzer auch da sein. Und sie kamen rein“, sagte Netzer. Er war als gewiefter Geschäftsmann auch für die Kollegen da, handelte teilweise sogar Verträge aus, wie inMadrid für Breitner. Oder er besorgte Werbeverträge.
Es war ein Geben und Nehmen: Netzer machte Gladbach besser, die Teamkameraden hielten ihm den Rücken frei, damit er sein Spiel machen konnte. „Ich bin allen dankbar, was sie für mich getan haben“, sagte Netzer.
Viele seiner Weggefährten waren bei der Preview der Ausstellung dabei, es war durchaus ein Schaulaufen des Borussen-Fußballs der Netzer-Jahre, viele der Gäste waren in jüngerer Version auch in den Filmsequenzen zu sehen, ebenso wie Impressionen der Stadt.
Die Netzer-Ausstellung ist daher zugleich eine über Mönchengladbach und Borussia. Netzer ist immer auch seine Heimatstadt und der Klub, der ihn groß machte, und strahlt für beide mit. Das ist das Vermächtnis des „King vom Bökelberg“.