25 Jahre prägte Dirk Riether die sportlichen Geschicke bei Union Nettetal. Nun hört der 56-Jährige als Abteilungsleiter auf. Im Interview spricht er über Veränderungen im Fußball, die beste Feier, schwierige Entscheidungen und die Zeit danach.
Herr Riether, in Ihrer Abschiedsankündigung hieß es, Union Nettetal sei wie ein drittes Kind für Sie. Steht das Kind jetzt auf eigenen Beinen?
Dirk Riether: "Das sagen meine Töchter immer, ich selbst mag den Vergleich eigentlich gar nicht (lacht). Aber ganz ehrlich: Ja, ich glaube, Union ist gut aufgestellt. Mit Nico Zitzen als meinem Nachfolger haben wir einen echten Glücksgriff gemacht – er bringt alles mit, was es braucht. Mein Vorgänger sagte mal: Irgendwann spricht man nicht mehr die Sprache der Jungs. Ich glaube, der Moment ist jetzt auch bei mir gekommen. Und dann ist es Zeit, loszulassen."
Die „Sprache der Jungs“ ist das eine, doch was hat Sie zusätzlich dazu bewogen, sich nach 25 Jahren zurückzuziehen?
Riether: "Irgendwann schaut man auf sein „Tacho“ und sieht, wie viele Kilometer man schon abgespult hat. Es kostet einfach Kraft und irgendwann merkt man: Es ist Zeit. Die Entscheidung habe ich schon länger mit mir herumgetragen. Für mich war klar: Andreas Schwan wird mein letzter Trainer – das hat dann nicht ganz so funktioniert (Schwan und Nettetal trennten sich im Winter, Anm. d. Red.). Aber jetzt ist der richtige Moment gekommen – auch, weil der Verlust meines Vaters im vergangenen Jahr viel in mir verändert hat. Wir standen immer gemeinsam auf dem Platz, haben alles rund um den Fußball geteilt. Das fehlt."
Schmerzt es Sie, dass Ihr Abschied nun mit dem Abstieg der Männer aus der Oberliga zusammenfällt?
Riether: "Natürlich hätte ich den Verein lieber in der Oberliga übergeben. Der Abstieg war vermeidbar – wir hätten problemlos 15 Punkte mehr haben müssen. Das ist sehr ärgerlich. Aber wir haben immer gesagt: Der Abstieg aus der Oberliga kann passieren. In den vergangenen Jahren gab es ebenfalls Schwächephasen, allerdings hatten wir in den Vorjahren schon früh unsere Punkte zusammen. Dieses Mal sind wir von Anfang an hinterhergelaufen. Das ist für den Kopf noch einmal schwieriger. Aber wir wollen wiederkommen. Jetzt steht allerdings ein Umbruch an. Das braucht Zeit, vielleicht zwei, drei Jahre."
Gehen wir zurück zu den Anfängen: Wie begann Ihre Reise beim SC Union Nettetal überhaupt?
Riether: "Der Lobbericher SC ist mein Heimatverein. Auch mein Vater hat für den Verein gespielt. 1991 bin ich als Spieler außerdem zu Union Breyell gewechselt – daher habe ich als Fußballer nur für diese beiden Vereine gespielt. Als die Fusion kam, bin ich 1996 in den Vorstand von Union gegangen – Fußballspielen ließ sich mit dem Job nicht mehr vereinbaren. 1999 hatte unser damaliger Fußballobmann Josef Hommes einen schweren Fahrradunfall. Ich wurde gefragt, ob ich sein Amt kommissarisch übernehmen kann – und bin nie wieder davon losgekommen (lacht). Seit 2000 war ich dann offiziell Abteilungsleiter und habe das Amt von Werner Beskes übernommen."
Wenn Sie Ihre jetzige Tätigkeit mit den Anfängen vergleichen – was hat sich verändert?
Riether: "Ich muss ehrlich sagen, dass die ersten Jahre hart waren. Es war einfach zu viel. Wir mussten im Fußballvorstand alles im Verein mitstemmen, auch Dinge, die nicht unsere Baustelle waren. Ich habe irgendwann gesagt: Macht endlich euren Job – oder ich betrete die Anlage nie wieder. Danach hat sich vieles verbessert. Trotzdem war bis zuletzt noch viel zu tun. Zehn Stunden kommen in der Woche schnell zusammen. Mir war wichtig, nahe dran zu sein. Das war immer meine Interpretation der Aufgabe."
In Ihrer Zeit spielte Nettetal immer Ober- oder Landesliga, also in den ambitionierten Amateurklassen – mit einer Ausnahme: 2012 stieg der Verein in die Bezirksliga ab.
Riether: "Das war ein echter Betriebsunfall. Ich habe damals gesagt: Wenn das noch einmal passiert, bin ich sofort weg. Die Bezirksliga ist einfach nicht mein Ding. Da geht es oft zu wie im Wilden Westen: Komme ich heute nicht, komme ich morgen. Ich habe auf diese Einstellung kein Bock. Ganz ehrlich: Fußball beginnt für mich ab der Landesliga. Hobby ist Hobby – und das ist auch alles okay und besser, als zu Hause auf der Couch zu sitzen. Dann lieber etwas Kreisliga zocken. Aber ich will dafür nicht die Verantwortung tragen."
Wie hat sich über die Zeit der Umgang mit Spielern geändert?
Riether: "Viele meckern ja immer: Spieler A hat erst zugesagt, und geht dann doch woanders hin. Ehrlicherweise gab es das auch zu meiner Zeit – und davor ebenfalls. Aber vielleicht nicht in der Häufigkeit. Früher habe ich mich immer mit Klaus Fleßers (langjähriger Trainer und Vorsitzender des 1. FC Viersen, Anm. d. Red.) ausgetauscht, was ein Spieler bei ihm bekommen hat. Denn viele Spieler erzählen in den Verhandlungen gerne etwas ganz anderes. Die ganze Liga weiß aber mittlerweile, was ein Spieler bei uns maximal bekommt. Wir konnten uns immer damit schmücken, dass in der Region nicht viel Oberliga-Fußball geboten wird. Die Oberliga ist für mich die erste Schaufensterliga, in der Spieler noch von einer höheren Liga träumen können. Das war für uns nicht schlecht. Damit konnten wir Spieler auch für wenig Geld holen."
Und wie hat sich der Amateurfußball insgesamt verändert?
Riether: "Der Fußball ist größer geworden – manchmal zu groß. Früher stand in der Zeitung, wie das Spiel ausging. Heute ist das Spiel kaum abgepfiffen, da kursieren schon die Jubelvideos bei Social Media. Wir hatten früher zudem Trainer, die mit dir im Monat vielleicht nur zwei bis drei Mal gesprochen haben. Und der Trainer hat alles alleine gemacht. Heute gibt es heute Trainerteams aus vier oder fünf Leuten. Du musst oft Psychologe, Mama oder Papa für die Spieler sein. Aber ich merke auch: Immer mehr Jungs schätzen es, wenn man ehrlich, direkt und geradeaus ist. Und sie identifizieren sich wieder mehr mit dem Verein – das war zwischendurch anders. Beispiele wie Nico Zitzen oder Orhan Özkaya, der einst ein Heißsporn war, zeigen, wie sehr sich Spieler hier wohlfühlen."
Was war die beste Feier in ihrer Zeit als Abteilungsleiter?
Riether: "Der Aufstieg 2018 in die Oberliga im Elfmeterschießen war Gänsehaut pur – ein Moment, der sich eingebrannt hat. Und die Weihnachtsfeiern der letzten Jahre bei Familie Coenen waren legendär. Mir fällt auf jeden Fall der Aufstieg 2000 in die Niederrheinliga ein. An den Spieltagen sind wir damals meistens erst in der Nacht nach Hause gekommen (lacht). Zu der Truppe gehörten Spieler wie Selami Kir und André Theißen. Das war schon sensationell. Das heißt aber nicht, dass wir mit den heutigen Jungs schlechter feiern. Die Anforderungen für die Spieler sind heute aber um ein Vielfaches höher, alleine was Athletik und Physis angeht. Guck dir an, wie die Spieler heute alle aussehen. So sahen wir damals nicht aus (lacht)."
Wer waren für Sie die prägenden Spieler und Trainer?
Riether: "Spieler wie Selami Kir, Andre Theißen, Philip Schepers oder Martin Stroetges waren echte Typen. Und Nico Zitzen aus der jüngeren Zeit. Bei den Trainern war Schwan mit Abstand am längsten Cheftrainer – er hat den Verein geprägt."
Was war die schwierigste Entscheidung in der ganzen Zeit?
Riether: "Die Trainerwechsel. Vor allem die Trennung von Norbert Brüggemann. Er hat lange Jahre hier alles für die Mannschaft getan und ist mit uns 2000 in der Niederrheinliga aufgestiegen. Es passte dann aber nicht mehr mit den Spielern. Wenn Trainer und Mannschaft zu lange gleichbleiben, funktioniert es irgendwann nicht mehr. Die Jungs nehmen sich dann immer mehr heraus. Dann muss man konsequent handeln – auch wenn es weh tut."
Welchen Stellenwert spielen die Pokalspiele gegen Rot-Weiss Essen und zuletzt beim MSV Duisburg für Sie?
Riether: "Das waren auf jeden Fall auch Höhepunkte, die jeweils aber auch mit sehr viel Arbeit verbunden waren. Das Spiel hier gegen Essen war ein großes Ereignis. Und beim Spiel gegen MSV Duisburg habe ich von vornherein gesagt, dass wir in Duisburg spielen wollen. Dieses Erlebnis wollten wir mitnehmen, auch für die Jungs. In den zwei Wochen vor dem Spiel habe ich dreimal täglich mein Handy leer telefoniert. Was da an Anfragen von der Presse, aus Duisburg und sonst wem kamen, war Wahnsinn. Aber das war es wert."
Wie nutzen Sie Ihre Zeit nun, da Sie keine Verantwortung mehr im Verein haben?
Riether: "Ich bleibe dem Verein noch erhalten. Ich mache es ähnlich wie mein Vorgänger und kümmere mich im Hintergrund um den Etat. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, denn dafür ist die Aufgabe zu vielfältig. So ein Staffelstab muss langsam übergeben werden, nicht mit der Axt. Es geht beispielsweise um die vielen Sponsoren, zu denen ich durch die vielen Jahre einen engen Draht habe. Grundsätzlich freue ich mich aber auf die Freiheit, nicht mehr sonntags zu jedem Auswärtsspiel fahren zu müssen. Zeit mit meiner Familie, mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern, die mich jahrelang beim SC Union Nettetal unterstützt haben und auch immer auf dem Sportplatz waren – das ist auch schön. Dazu Tennis und Spaziergänge. Die Heimspiele und die Spiele in der Gegend nehme ich natürlich mit. Aber es gibt diesen Zwang nicht mehr. Und eines ist sicher: Ich werde nicht der nächste Vorsitzende! Wenn ich etwas mache, dann richtig – und das geht nur mit voller Präsenz. Halbherzig ist nicht mein Ding. Diese Aufgabe war nie ein Job für mich – sie war ein großes Stück meines Lebens. Und ich habe sie mit ganzem Herzen gemacht."
Das Interview führte Daniel Brickwedde