Normalerweise spielen die Fußballerinnen der FSG Mulsum/Kutenholz-Deinste vor 30 Zuschauern. Doch am Samstag war die Aufmerksamkeit dank einer besonderen Aktion sehr groß. Die Spielerinnen von der Geest durften sich wie Profis fühlen. Von Tim Scholz
Die Spielerinnen stehen im Tunnel, nehmen die Kinder an die Hand. Und los geht’s, vorbei an unzähligen Zuschauern, die sonst nicht hier wären und jetzt den Aufmarsch der Mannschaften mit ihren Smartphones filmen. "Als wir gesehen haben, wie viele Leute hier sind, ging noch mal die Düse", sagt FSG-Kapitänin Manon Dankers. Dann ertönt die Champions-League-Hymne. Ein Stück Königsklasse in der Kreisklasse.
Am Wochenende war vieles anders für die Fußballerinnen von der Geest. Die Mannschaft hatte bei der vom TAGEBLATT-Portal fupa.net initiierten und vom Buxtehuder Hotel Navigare gesponserten Aktion "Zum Spiel wie die Profis - und vorher ab ins Teamhotel" die meisten Stimmen erhalten, und bekam an diesem Spieltag besonders große Aufmerksamkeit.
11 Uhr. Fünf Stunden vor Anpfiff bittet Trainer Dennis Eindorf seine Spielerinnen in einen Konferenzraum im Hotel Navigare. Die Stühle sind auf einen 80 Zoll großen Fernseher ausgerichtet. Eindorf aber bevorzugt für die Teambesprechung lieber das Flipchart.
Bereits am Vorabend bezog die Mannschaft acht Zimmer im Hotel, gab eine Pressekonferenz und testete die Hotelbar. Nachdem diese nachts geschlossen wurde, ging es auf Zimmer 118. "Da gab es noch ein, zwei Jubi", sagt Verteidigerin Carina Höft und lacht. Anders als bei den Profis machte das Trainerteam keine Vorgabe, wann Bettruhe ist. Nur: Die Spielerinnen sollten es nicht übertreiben. Ausfälle habe es nicht gegeben, verkündet der Trainer am nächsten Morgen. Er selber soll um 3.30 Uhr im Bett gewesen sein.16 Spielerinnen sitzen nun im Konferenzraum. Selten sind es so viele an einem Spieltag. "Taktik", sagt Eindorf, "ist auch in der 1. Kreisklasse wichtig. Aber Theorie und Praxis gehen manchmal in entgegengesetzte Richtungen." Man will die aktive Mannschaft sein, rennt aber nur hinterher. Doch Eindorf glaubt an sein Team ("Wir haben Qualität in der Truppe") und präsentiert den Matchplan, der vor allem Überraschungsmomente vorsieht: Pressing in den ersten zehn Minuten, zwei Varianten bei Eckbällen, zwei Varianten bei Freistößen. "Standards können eine Waffe sein", sagt er. Und das wird sich noch bewahrheiten.
"Es wird richtig geil heute", murmelt eine Spielerin, als Sonnenstrahlen in den Konferenzraum fallen.
12 Uhr. Wer sich beim Pasta-Büffet im Gewölbe des Hotels mit den Spielerinnen unterhält, vernimmt aber auch kritische Töne. Bei Penne all’arrabbiata, Spaghetti Bolognese und Tagliatelle berichten sie, dass sie Bock auf Fußball haben, "aber es ist doof, ständig zurückstecken zu müssen". Die Spielerinnen fragen sich, warum die Männer oft bevorzugt würden, wenn es zum Beispiel um die Belegung der Trainingsplätze geht, oder warum Unternehmen seltener den Frauenfußball unterstützten. "Wo ist die Fairness?" Die Mannschaft freut sich auch deshalb, dass sie heute große Aufmerksamkeit bekommt.
Die Aufregung steigt. "Dass ich jetzt entspannt bin, würde ich nicht sagen", sagt Torhüterin Emily Peters (18), die Jüngste im Team.
14.30 Uhr. Trainer Eigendorf hat zu Hause Halt gemacht, die Katzen gefüttert und begeht mit der Mannschaft nun den Platz. Die Anlage in Mulsum liegt zwischen Höfen und Einfamilienhäusern. Ein Traktor düst vorbei, es riecht nach Gülle. Der Kirchturm ist in Sichtweite.
Nils Meyer hat seine Bude am Spielfeldrand bereits geöffnet. 200 Bratwürste und 40 Kilogramm Pommes hat er vorrätig. Dazu Freibier, gestiftet vom Verein. "Ich bin gespannt, wie viele Leute kommen", sagt Meyer. Gewöhnlich sind es 30 Zuschauer in der Frauen-Kreisklasse.
Die Anlage füllt sich. Der Vereinsvorsitzende Andreas Block ist überwältigt. "Ich war selber Damentrainer und weiß, dass der Frauenfußball ein bisschen außenvor ist. Aber wir versuchen, alle Teams gleich zu unterstützen."
15.45 Uhr. Die Spielerinnen haben sich umgezogen. Das Trainerteam darf die Kabine betreten. Kapitänin Manon Dankers verteilt Traubenzucker, ein Ritual vor jedem Spiel. "Das hat sich einfach so eingebürgert", sagt sie. Trainer Eindorf richtet letzte Worte ans Team: "Es sind ein paar Zuschauer da. Blendet das aus. Die sind tatsächlich wegen euch hier. Macht einfach das, was ihr könnt. Bringt das auf den Platz, was wir vorhin besprochen haben."
Kapitänin Dankers: "Wir dürfen Apensen nicht unterschätzen. Aber wir sind eine saugeile Truppe. Und über den Kampf können wir das Ding gewinnen." Alle klatschen in die Hände.
15.55 Uhr. Schiedsrichter Mats Wilkens nimmt die vierjährige Edda an die Hand und führt die Mannschaften zum Spielfeld. Edda, Tochter einer FSG-Fußballerin, schnappt den Spielball von einer Pylone und trägt ihn wie bei den Profis zum Mittelkreis. Die Champions-League-Hymne ertönt, die Spielerinnen winken zum Publikum, die Einlaufkinder, aus der U7 und U8 der JSG Geest, sprinten vom Feld.
Anpfiff. Der Plan, Apensen zu Beginn mit aktivem Pressing zu stressen, funktioniert nicht. "Da waren wir noch unkoordiniert", sagt Mittelfeldspielerin Rebecca Wiebusch. Als Mulsum einen Freistoß bekommt, wird auf der Bank gerätselt, welche Variante jetzt zur Anwendung kommt. Keine. Der Ball fliegt über das Tor.Mulsum und Apensen, als Tabellenführer angereist, aber personell geschwächt, bestreiten ihr erstes Spiel nach der Winterpause. Wie in dieser Liga verbreitet, spielen sie auf einem Neunerfeld. Das bedeutet: neun gegen neun. Ein Tor steht auf der Strafraumgrenze des großen Feldes.
In der zwölften Minute schallt zum ersten Mal "Sweet Caroline" über den Platz. Lina Wiebusch hatte nach einer Täuschung freie Schussbahn, 1:0. Wenig später nimmt sie einer Gegenspielerin den Ball ab, zirkelt ihn ins Tor, 2:0. Die Torhüterin ist machtlos. Die Sonne scheint, die Spielerinnen strahlen. In der 16. Minute erzielt Lilli Schwarz den Anschlusstreffer. Es sind tolle Tore. Die Mannschaften halten sich selten im Mittelfeld auf, laufen viel - die Pasta liegt offenbar nicht schwer im Magen. Apensen glänzt spielerisch, Mulsum mit gutem Stellungsspiel in der Abwehr und mit Toren zum richtigen Zeitpunkt. Rebecca Wiebusch, nicht mit Lina Wiebusch verwandt, erhöht auf 3:1 und Lina Wiebusch auf 4:1. "Das sind so Spiele... da ist man spielerisch klar besser, aber hinten kriegste die Tore", kommentiert Apensens Trainer Wolfgang Leminski auf dem Weg in die Kabine.
Pause. Die Straße vor der Sportanlage ist zugeparkt. Rund 200 Zuschauer stehen am Spielfeldrand, die meisten vor dem Ausschank und der Bratwurstbude. Die 50 Liter Freibier sind nach einer Dreiviertelstunde leer.
Die besten Plätze haben Thies Quell und Jonas Willenbockel, die auf dem Vordach des Vereinsheims sitzen, die Tormusik einspielen und die Torschützinnen ansagen.Wiederanpfiff. Mira Drechsel nutzt einen Mulsumer Abstimmungsfehler und trifft zum 2:4 aus Sicht des TSV Apensen. Nur zwei Minuten später jubelt Mulsum besonders laut. Nach einem Freistoß erzielt Rebecca Wiebusch das 5:2 durch eine Doppelpassvariante. Richtig, eine dieser Varianten, die der Trainer noch am Vormittag präsentiert hat. Die Partie ist entschieden und bleibt fair. Kraft und Kondition lassen nach. Auf der Bank wird viel gelacht und auch über Nebensächliches gesprochen: "Bochum hat gegen Leipzig gewonnen!"
72. Minute: Lina Wiebusch, ein Hattrick und ein Assist, verlässt das Feld unter Applaus. Eine Jury wählt sie zur Spielerin des Spiels. Tim Mertz vom Hotel Navigare überreicht eine Flasche Sekt. Wiebusch duscht damit ihre Mitspielerinnen. "Ich habe sogar schon vier Tore in einem Spiel geschossen", sagt die 22-jährige Fredenbeckerin in der Interviewzone, "aber an so einem Tag ist das noch mal schöner." Und das trotz der Nervosität. "Ich habe beim Einlaufen wirklich gezittert."
Zur Pressekonferenz versammeln sich die Mannschaften im mit Urkunden, Wimpeln und Pokalen dekorierten Vereinsheim. Nachdem die Fragen der Medienvertreter beantwortet wurden, meldet sich eine Mulsumerin mit einer letzten Frage: "Wird Lina einen Kasten auf ihre drei Buden ausgeben?" Sie hat wohl keine Wahl.
Bildergalerien vom Spiel, vom Hotel und der Pressekonferenz
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Das Navigare ist derzeit auf der Suche nach Unterstützung. Als Arbeitgeber bietet das Hotel seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter anderem eine übertarifliche Bezahlung, flexible Arbeitszeiten, eine frühzeitige Planung der freien Tage und Urlaubstag, Feiertagsausgleich und vieles mehr.
Weitere Infos unter: https://www.hotel-navigare.com/karriere.html