Teil II unseres Interviews mit Maurizio Jacobacci. Der Löwen-Trainer über seine mühsame Aufbauarbeit, mentale Stärke und vereinspolitische Neutralität.
Nach dem 3:1-Sieg in Aue hatten Sie sich einen halben Tag freigenommen und hinterher von einem „Glücksmoment“ berichtet. Wie hat sich der Montag nach der 1:4-Heimniederlage gegen Dortmund II angefühlt?
Jacobacci: Sehr schlecht. Unser Ziel war, dass wir eine Serie starten. Die Überzeugung war da, dass wir das können. Deswegen war es enttäuschend für mich und auch für die Spieler, was in den ersten 20 Minuten abgegangen ist. Man kann in Rückstand geraten, muss aber intelligent genug sein, um ruhig weiterzuspielen. Wir hätten genug Zeit gehabt, den Rückstand wettzumachen und sogar noch zu gewinnen. Eine einzelne Situation darf nicht so viel Negatives auslösen. Auch das zweite Tor kam ja aus dem Nichts.
Wobei es auch ein toller Freistoß war, den der Dortmunder da in den Winkel gejagt hat.
Jacobacci: Ja, aber es darf diesen Freistoß gar nicht geben. Zwei Spieler gehen auf den gleichen Ball – das ist absolut unnötig. So etwas ist eine elementare Situation: Einer muss ins Luftduell gehen, der andere sichert ab – dann passiert da absolut nichts. Am Ende war es ein unnötiges Foul und es steht 0:2…
Hatten Sie da immer noch an den Sieg geglaubt?
Jacobacci: Ja, sicher, auch noch nach dem 0:3. Ich war wirklich überzeugt davon, dass wir noch gewinnen können! Es war ja nicht so, dass uns Dortmund auf die Verteidigung gepresst hat und wir nicht in der Lage waren, uns zu befreien. Ab der 20. Minute haben wir es dann auch recht gut gemacht, hatten kluge Spielkombinationen nach vorne. Da hat man gesehen, dass schon ein gewisser Lerneffekt da ist, denn all diese Spielzüge haben wir in den letzten drei, vier Wochen einstudiert. Auch Chancen waren da. Lex! Deichmann! Das sind eigentlich sichere Tore. Wären wir mit 1:3 in die Pause gegangen, hätte es ganz anderes ausgesehen. Man weiß ja: Hier in Deutschland ist das 1:3 ein Anschlusstor . . .
Ist das nicht überall so?
Jacobacci: Nein, bei uns in der Schweiz sagt man das erst bei 2:3 oder 1:2. Mir gefällt es, dass man hier schon bei zwei Toren Unterschied so denkt. Das ist eine Mentalität, die mir behagt, genau das suche ich. Ich will Leute, die alles für Siege tun, die die Niederlage hassen und sie nicht akzeptieren!
Sind Sie denn unter dem Strich halbwegs zufrieden, wie es mit Ihrer Arbeit voran geht?
Jacobacci: Ich denke, offensiv sind wir auf einem guten Weg. Was das Defensivverhalten anbelangt, hätte ich mir gewünscht, mehr Schritte vorangekommen zu sein. Fehler passieren, aber es dürfen nicht so krasse Fehler passieren. Das hat auch mit Konzentration zu tun.
Waren Sie überrascht, dass die Verunsicherung im Team so groß ist, auch noch nach dem Aue-Sieg?
Jacobacci: Ja, das hat mich schon überrascht, denn wenn man bei 1860 unterschreibt, sollte einem bewusst sein, was das heißt. Dass alles mehr Wucht hat im Vergleich zu anderen Clubs. Es darf nicht sein, dass man kaputt geht, wenn mal eine Kritik kommt. Dann hat man hier nichts verloren. Ich glaube, du musst hier eine gewisse Stärke haben, denn alle spielen anders gegen 1860. Für die Gegner ist es ein Highlight. Umgekehrt sollte man wissen, dass man von der riesigen Fangemeinschaft getragen wird, wenn man sich konstante Leistungen und Resultate erarbeiten kann.
Wenn man bei 1860 unterschreibt, sollte einem bewusst sein, was das heißt. Dass alles mehr Wucht hat im Vergleich zu anderen Clubs. Es darf nicht sein, dass man kaputt geht, wenn mal eine Kritik kommt. Dann hat man hier nichts verloren.
Löwen-Trainer Maurizio Jacobacci.
Es fehlt also an grundlegenden Dingen?
Jacobacci: Ich denke, dass es wichtig ist, eine solide Defensive als Basis zu haben. Wenn es vorne mal nicht läuft, muss man sagen können: Jungs, wir holen wenigstens einen Punkt, aber wir verlieren das Spiel nicht. Das ist die Mentalität, die man hier kultivieren sollte. Die Fans verlangen keine Wunderdinge, sondern ehrliche Arbeit. Gemeinsam kompakt stehen, nahe am Mitspieler, gezielt herausrücken – das ist eine Kunst. Es sind Automatismen, die aber nicht von heute auf morgen kommen.
Dann dürfte Ihnen die Spielweise des SSC Neapel gut gefallen.
Jacobacci: Oh, ja, ich bin ein großer Fan von Napoli. Neulich habe ich dem Team eine Szene auf Video gezeigt, einen schlecht gespielten Eckball von Napoli, aber danach hat es sechs Sekunden gedauert, bis alle wieder hinter dem Ball waren. Alle zehn Feldspieler haben einen Sprint gemacht, um den Konter des Gegners zu annullieren. Eigentlich hat es Napoli nicht nötig, die haben 19 Punkte Vorsprung – und trotzdem haben sie diese Winner-Mentalität. Niemand ist sich da zu schade, Defensivarbeit zu verrichten. Wenn ich solche Sachen sehe, geht mir persönlich das Herz auf. Auch bei unserem Spiel in Aue.
Nach dem Spiel in Aue hatten viele Fans schon wieder den Rückstand auf die Aufstiegsplätze ausgerechnet, gedanklich einen Brasilianer gekauft; entsprechend nach der hohen Niederlage gegen Dortmund Trübsal geblasen und alles infrage gestellt. Wie kommen Sie als ausgeglichen wirkender Mensch mit solchen Gefühlsschwankungen klar?
Jacobacci: Ich mag Emotionen. In Bern bewegt sich immer alles auf einem mittleren Level. Mir ist es lieber wie hier. Wenn es gut läuft, sollen es die Leute gerne ausleben. Man muss sich nur bewusst sein, dass es in die andere Richtung ziehen kann, wenn es nicht läuft. Schlussendlich liegt es in unserer Hand. Durch Resultate können wir steuern, wie die Leute empfinden, müssen also dafür sorgen, dass es mehr Aufs gibt als Abs.
Der Umgang mit den Funktionären erfordert bei 1860 Gespür. Einige Ihrer Vorgänger mussten das leidvoll erfahren. Politische Neutralität dürften Sie aber beherrschen als Wahlschweizer, oder?
Jacobacci: Ja, in der Tat (lacht). Ich bin jetzt Trainer hier und bin für Resultate im Spiel zuständig. Nur das darf mich interessieren, alles andere ist nicht meine Domäne. Mein Ziel ist es, den Leuten Freude zu bereiten, das ist eine wirklich geile Aufgabe. Denn am Ende macht mich das dann auch glücklich.
Sie haben ja nach eigener Auskunft einige Bewerbungen geschrieben, um in Deutschland als Trainer eine Chance zu bekommen. Warum war das so ein großer Wunsch von Ihnen? Wäre Italien nicht naheliegender gewesen?
Jacobacci: Ich war tatsächlich noch nie Trainer in Italien, aber wie schon angedeutet: Mir behagen die deutschen Tugenden. Sich nie aufzugeben, immer an einen Sieg zu glauben. Diese Attribute mit meiner taktischen Arbeit zusammenzuschweißen, das reizt mich. Nie locker lassen, noch in der 90. Minute den Mut haben, ein Spiel drehen zu können – in der Summe mit meinen Fähigkeiten kann sich ein Paket bilden, das mir gewisse Erfolge bringt. Das ist mir wichtig. Darum Deutschland und nicht Italien.
Sind Sie zuversichtlich, was Ihre Vertragsverlängerung bei 1860 über diese Saison hinaus angeht?
Jacobacci: (lacht) Wünschenswert wäre es. Ich bin gerne hier. Es läuft zwar noch nicht optimal, aber ich genieße jede Sekunde. Mein Ziel ist, hier etwas aufzubauen, das Hand und Fuß hat – und dann produktiv in die nächste Saison zu gehen. Ich weiß, wie viel Potenzial in diesem Club steckt. Es wäre auch gelogen zu sagen, dass ich mir noch keine Gedanken mache, wie hier in der neuen Saison gewisse Erfolge erzielt werden können.
Interview: Uli Kellner