2025-02-04T14:35:38.952Z

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Seit Oktober 2024 die Vertrauensperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beim BFV: Christoph Hertzsch.
Seit Oktober 2024 die Vertrauensperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beim BFV: Christoph Hertzsch. – Foto: BFV/Team München

Homophobie im Fußball: „Verlieren super viele gute Talente im Jugendbereich“

Queer-Beauftragter im Interview

Christoph Hertzsch ist die Vertrauensperson für LGBTQI+ beim BFV: Im Interview spricht er über Queerfeindlichkeit im Fußball und ihre Auswirkungen.

München – Christoph Hertzsch spielt Fußball. Daran ist erstmal nichts außergewöhnlich. Er ist offen homosexuell. Auch das ist heutzutage nicht mehr außergewöhnlich. Fußball und offen gelebte Homosexualität in Kombination dagegen schon. Auch Anfang 2025 gibt es im deutschen Profifußball keinen geouteten Spieler.

Christoph Hertzsch engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte von queeren Menschen. Seit Oktober 2024 bekleidet er die neu geschaffene Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim Bayerischen Fußball Verband (BFV). Wir haben Hertzsch für ein Interview getroffen und über seine Arbeit gesprochen. Außerdem über Homo- und Transphobie im Fußball und wie sich das auch auf die Talentförderung auswirkt, über persönliche Erfahrungen und über die Verfehlungen des DFB.

Servus Christoph, der DFB hat Anfang Dezember für die Ausrichtung der Fußball-WM 2034 in Saudi-Arabien gestimmt, ein Land, in dem Homosexualität unter Strafe steht. Was löst das in dir aus?

Ich bin natürlich enttäuscht. Nach all der Kritik an Katar wollte sich der DFB ja eigentlich anders positionieren. Ich fand dann auch die Erklärung des DFB traurig: ‚Wenn wir jetzt nicht für die stimmen, stimmen die in Zukunft auch nicht für uns.‘ Ehrlich gesagt hätte ich mir hier mehr Rückgrat und moralische Größe gewünscht. Aber der DFB ist eben viel zu sehr in die ganze FIFA-Maschinerie verwickelt.

Zusätzlich hat der DFB im Dezember seine Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gestrichen. Eine Stelle, die vor vier Jahren ins Leben gerufen wurde, um die Diskriminierung von queeren Menschen im Sport zu bekämpfen.

Tatsächlich war das aus einem organisatorischen Grund, weil die Stelle nur für vier Jahre ausgeschrieben war. Ich weiß nicht, ob der DFB plant, wieder eine ähnliche Position zu schaffen. Grundsätzlich fragt man sich aber schon, warum der DFB so eine Stelle überhaupt befristet ansetzt. Das Thema der Aufklärung über queere Positionen und queeres Leben im Sport endet ja nicht nach vier Jahren.

Was für ein Zeichen sendet der DFB damit?

Dass das Thema der queeren Menschen, im Amateurbereich wie im Profifußball, beim DFB keinerlei Priorität genießt. Dass es nur ein Randthema ist, das man nebenher mitzieht und an den richtigen Stellen gerne auspackt, das aber nie wirklich Teil der Agenda ist. Und das ist schade, weil es ein gesellschaftlich relevantes Thema ist, das sich im Fußball so noch nicht widerspiegelt.

„Auch im Fußball gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität und ihrer Geschlechtsidentität durch Gesetze und Vorgaben diskriminiert werden.“

Christoph Hertzsch

Gegenläufig zum DFB hat der Bayerische Fußballverband (BFV) im Rahmen der Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes im Oktober 2024 eine solche Anlaufstelle geschaffen. Warum braucht es diese Stelle?

Auch im Fußball gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität und ihrer Geschlechtsidentität durch Gesetze und Vorgaben diskriminiert werden. Beim BFV gab es bisher überhaupt keine direkte und sichtbare Ansprechperson beziehungsweise keine Fachkompetenz.

Du bist seit etwa drei Monaten diese sichtbare Ansprechperson. Wie sieht deine Arbeit aus?

Aktuell spreche ich viel mit Trans-Personen, die ihre Geschlechtsidentität geändert haben, aber weiterhin in ihrer alten Mannschaft spielen wollen. Die DFB-Regelung sieht vor, dass man in einer Männer- oder in einer Frauenmannschaft spielen muss, wenn man sich für das jeweilige Geschlecht entschieden hat. Ich vermittele dann zwischen den einzelnen Personen, den Vereinen und dem BFV und versuche eine Lösung zu finden.

Meine Arbeit besteht aber auch darin, strukturelle Themen auf den Weg zu bringen, also Aufklärungsprojekte zu starten und Programme zu implementieren, mit denen wir das Thema Homo- und Transphobie im Amateurfußball behandeln können. Wir wollen Anlaufstellen schaffen und langfristig Aufklärung bereitstellen, damit die Diskriminierung im Amateurbereich nachlässt. Und wenn es sich dort etabliert hat, beziehungsweise wenn das Thema kein Thema mehr ist, dann wird sich das auch weiter nach oben in die Profiligen ziehen.

„Im Jugendbereich entscheiden sich viele dafür, sich entweder nicht zu outen und ein Schattenleben zu führen, oder mit Fußball aufzuhören, weil sie da nicht sein können, wie sie möchten.“

Christoph Hertzsch

Warum gibt es auch Anfang 2025 keinen geouteten Spieler im deutschen Profifußball?

Der deutsche Fußball hat es noch nicht geschafft, ein Umfeld herzustellen, in dem sich die Spieler wohl und sicher fühlen. Stattdessen müssen sie Angst davor haben, ihren Job, Geld und Anerkennung zu verlieren. Dazu kommt die Angst vor Repressalien seitens queerfeindlicher Menschen. Und dann stellt sich die Frage: ‚Willst du der Erste sein, der sich da durchkämpft, oder versteckst du lieber diesen Teil deiner Persönlichkeit?‘ Im Jugendbereich entscheiden sich viele dafür, sich entweder nicht zu outen und ein Schattenleben zu führen, oder mit Fußball aufzuhören, weil sie da nicht sein können, wie sie möchten.

Was bedeutet das für den Fußball?

Es bedeutet, dass wir wahrscheinlich super viele gute Talente bereits im Jugendbereich verlieren, die es auch bis in die Nationalmannschaft hätten schaffen können. Das ist ein Aspekt, der immer noch kaum beachtet wird.

Du hast dich für einen anderen Weg entschieden und dich sehr früh in deinem Fußballverein geoutet. Welche Erfahrungen hast du gemacht?

Ich habe mich mit 14 Jahren im Freundeskreis geoutet und mit 16 bei meinen Eltern, obwohl das eigentlich nur noch reine Formalität war. Auch beim Fußball war es nie wirklich ein Thema, weil ich schon viele Jahre mit den gleichen Personen zusammengespielt habe und sehr gut etabliert war. Ich hatte damals auch einen ganz coolen Trainer, der nur gesagt hat, dass ihm alles wurscht ist, solange ich noch Tore schieße. Deswegen war das relativ easy für mich.

Weil ich so offen mit meiner Sexualität umgehe, habe ich aber auch lange Zeit keinen Fußball gespielt. Als ich in Augsburg studiert habe, kannte ich da keine Person, über die ich mich schnell in einen Verein hätte integrieren können. Ich hätte mich als separate, queere Person in einem fremden Verein etablieren müssen. Da hätte ich nicht nur zeigen müssen, dass ich Fußball spielen kann, sondern, dass ich als schwule Person Fußball spielen kann.

Heute spielst du wieder Fußball.

Irgendwann hat es mich wirklich so im Zeh gejuckt, dass ich nach schwulen Fußballteams gegoogelt habe. Dabei bin ich auf Team München gestoßen. Nach einem Probetraining war es direkt um mich geschehen. Ich bin dann für zwei Jahre dreimal die Woche von Augsburg nach München gependelt und 2018 sogar wegen des Vereins nach München gezogen.

„Es kommt immer wieder mal vor, dass wir homophob angegangen werden, sei es verbal oder durch Überhärte im Spiel.“

Christoph Hertzsch

Ihr seid auch im Jahr 2025 die einzige queere Fußballmannschaft in Deutschland, die im Herrenbereich am offiziellen Ligabetrieb teilnimmt. Wie reagieren andere Mannschaften auf euch?

Die meisten Spiele verlaufen mittlerweile äußerst positiv und freundschaftlich. Es kommt aber immer wieder mal vor, dass wir homophob angegangen werden, sei es verbal oder durch Überhärte im Spiel. Da fragt man sich dann manchmal schon, warum man sich das ganze eigentlich antut. Aber am Ende ist es auch wichtig, dass wir trotzdem auf den Platz gehen und uns dagegenstellen.

Wie gehen die Schiedsrichter damit um?

Das Thema Homo- und Transphobie wird auf dem Platz noch nicht so gut erkannt. Grundlegend ist deswegen erstmal nichts vorzuwerfen, schließlich hat nicht jeder mit queeren Personen im Alltag zu tun. Wenn wir aber Schiedsrichter auf eine homophobe Beleidigung aufmerksam machen, ist es wichtig, dass sie das auch ernst nehmen und im Spielbericht vermerken. Wir erleben leider immer noch relativ häufig, dass das nicht passiert. Queerfeindlichkeit im Fußball wird auch anhand der Statistiken aus den Spielberichten gemessen. Wenn ein Schiedsrichter nichts einträgt, ist die Homophobie nicht existent, obwohl sie stattfindet.

Bei allem, was du durch deine Arbeit und in deinem persönlichen Alltag erlebst: Würdest du einer Person im Fußball zum Coming-out raten?

Ich würde niemandem irgendetwas in die Richtung raten. Ein Coming-out ist etwas sehr Persönliches. Da müssen viele Lebensumstände stimmen. Ich kann aber aus meiner Erfahrung sagen, dass ein Coming-out schon eine sehr große Befreiung ist und viele persönliche Ängste, die man vorher hat, im Nachhinein nicht eintreten. An die Vereine, Verbände und an die Mannschaftskollegen möchte ich appellieren: ‚Ein Spieler wird sich nur zu seinem Coming-out bereit fühlen, wenn er weiß, dass er von seiner Gemeinschaft aufgefangen wird. Das müsst ihr in eurem täglichen Verhalten ausstrahlen.‘

Das Interview führte: Simon Jacob

Aufrufe: 021.1.2025, 12:20 Uhr
Simon JacobAutor