Die Szene ereignete sich bereits vor mehr als 41 Jahren, doch lässt sie sich immer noch problemlos als Video in den Weiten des Internets finden. Zu sehen ist Hans-Günter Bruns, wie er am 1. Oktober 1983 im Münchner Olympiastadion im eigenen Strafraum den Ball erkämpft, drei Bayern-Spieler stehen lässt und dann diagonal über das ganze Feld läuft. Vor dem Strafraum spielt er Doppelpass mit Frank Mill, ehe er mit seinem gefürchteten linken Fuß zum Abschluss kommt. Der Ball klatscht an den linken Pfosten, läuft von dort die Linie entlang und prallt vom rechten Pfosten zurück ins Spielfeld.
„The greatest goal never scored“ wird diese Szene aus dem Bundesligaspiel der Gladbacher bei den Bayern, die am Ende 4:0 gewannen, genannt. Doch für Borussias Fans ist Bruns weit mehr als der berühmteste Nicht-Torschütze der Bundesliga-Geschichte. Im Jahr 2000 wird der gebürtige Mülheimer von ihnen gar in Borussias Jahrhundertelf gewählt. Am Freitag, 15. November, feiert Bruns seinen 70. Geburtstag.
Als 23-Jähriger kommt er 1978 von der SG Wattenscheid zur Borussia und startet bemerkenswert beim Bundesligisten, der sich in einem großen Umbruch befindet. Der Neuling steuert 15 Pflichtspieltore in einer Saison bei, in der Gladbach zwar nur Zehnter in der Liga wird, jedoch zum zweiten Mal den Uefa-Cup gewinnt. Bruns erlebt jedoch danach einen Karriereknick, Trainer Jupp Heynckes wirft ihm mangelnde Einsatzbereitschaft vor, er wird für ein halbes Jahr an Fortuna Düsseldorf ausgeliehen.
„Das hat mir die Augen geöffnet und mir geholfen, zu dem Spieler zu werden, der ich dann war“, sagte Bruns jüngst im Interview mit dem Mitgliedermagazin des Klubs anlässlich seines nahenden runden Geburtstages. Bruns kehrt 1980 zurück und spielt noch zehn Jahre für die Borussen, zunächst noch im Mittelfeld, dann als Libero – aber immer mit großem Offensivdrang. Und als gelernter Angreifer muss er sich in Gladbach auch nicht zügeln.
„Aufgrund ihrer offensiven Spielweise fand ich Borussia schon immer gut, noch ehe ich dort selbst gespielt habe“, sagte Bruns. Seine typischen Sololäufe – wie jener in München – und seine „linke Klebe“ werden zu seinen Markenzeichen. So steht Bruns noch heute nicht nur in der Top Ten der meisten Bundesligaspiele für Borussia (331/Platz sechs), sondern auch bei den erzielten Bundesligatoren (61/Rang neun). Neben den Torjägern Uwe Rahn, Hans-Jörg Criens und Frank Mill zählt er zu den prägenden Gladbach-Profis der 80er Jahre. Dass nach dem Uefa-Cup-Triumph 1979 kein weiterer Titel für Bruns hinzukommt, mag ein kleiner Makel sein. Sie hätten ab etwa 1983 eine richtig gute Mannschaft gehabt, sagte Bruns, „da waren wir nahe dran. In der Saison 1983/84 wurden wir nur aufgrund der Tordifferenz am Ende Dritter in der Bundesliga. Das sind einfach Kleinigkeiten.“ 1984 macht Bruns auch seine einzigen vier Länderspiele für die deutsche A-Nationalmannschaft, bei der Europameisterschaft in jenem Jahr gehört er zum Kader, kommt aber nicht zum Einsatz.
„Ich habe mal in einem Interview gesagt, dass es mir mehr bedeutet, in der Jahrhundertelf von Gladbach zu stehen als in der Nationalmannschaft gespielt zu haben. Das fand der DFB nicht so toll. Ist aber wirklich so“, sagte Bruns, der sich 2000 bei der Wahl immerhin gegen Abwehrspieler wie die zweimaligen Deutschen Meister Klaus-Dieter Sieloff und Luggi Müller durchsetzte. Die Wahl der Fans fiel auf ihren Libero mit den raumgreifenden Schritten und der wehenden blonden Mähne – und auf eine treue Seele des Klubs, die 1985/86 auch die Kapitänsbinde übernahm, als Nachfolger des wenig später zum FC Schalke 04 wechselnden Wilfried Hannes.
1990 beendete Bruns seine Profilaufbahn, seine Trainer-Karriere auch bei seinem langjährigen Klub zu beginnen, zerschlug sich. Später trainierte Bruns unter anderem Rot-Weiß Oberhausen und den Wuppertaler SV. Heute lebt er in Oberhausen – und ist ab und an auch im Borussia-Park zu Gast. „Es ist jedes Mal schön, alte Weggefährten zu treffen und die immer gleichen Geschichten immer wieder zu hören und zu erzählen“, sagte Bruns. In seinem Fall dürfte das Nicht-Tor des Jahrhunderts ganz sicher dazugehören.